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Über Frau Steinbach zum Letzten (hoffentlich)   1 comment

Diesmal mit den Worten aus SPIEGEL ONLINE und mit der Feder von Henryk M. Broder – hoffentlich ein letzter Beitrag hier zum Thema Steinbachsche Anschauung der Vertriebenenfrage.

Die Vertriebenen werden auf ihren Opferstatus nicht verzichten, und die Politik möchte sie einbinden, um peinliche Alleingänge zu verhindern. Dabei sind die Deutschen längst weiter: Sie träumen vom Häuschen im Süden, nicht von der Herrschaft über Pommern.

Die toten Juden haben schon ein Mahnmal. Ebenso die Homosexuellen, die im „Dritten Reich“ verfolgt wurden. Auch der Opfer der Euthanasie wird öffentlich gedacht. Jetzt sind mal wieder die Vertriebenen an der Reihe.
Jahre dauert schon der Streit um das von der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen betriebene Projekt, nun ist er wieder eskaliert, nachdem der neue deutsche Außenminister den Polen quasi sein Wort gegeben hat, dass Frau Steinbach dem Stiftungsrat der geplanten Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nicht angehören wird. Sie wiederum wäre bereit, auf den Sitz zu verzichten, wenn dem Bund der Vertriebenen dafür mehr Einfluss, das heißt: mehr Sitze in dem Gremium zugestanden würden.
Das Ganze hört sich nicht nur wie eine Posse aus der Provinz an, es ist eine. Während der Außenminister auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei eine „geistig-politische Wende“ einfordert und die Aufmerksamkeit auf die „langen Linien“ der Politik verlagern will, führt er sich auf wie ein Hausmeister, der darauf achtet, dass auf dem Schulklo nicht geraucht wird.
Der Konflikt um den zu besetzenden Stiftungsrat hat eine historische und eine hysterische Komponente.

Geschichte vom Anfang her erzählen
Niemand bestreitet, dass zwölf Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertrieben wurden. Im Gegenteil: Alle paar Jahre wird dieses Tabu aufs Neue gebrochen. Entweder durch Günter Grass, der die „Wilhelm Gustloff“ wieder in See stechen lässt, oder durch Maria Furtwängler, die in einem Fernsehfilm eine deutsche Vertriebene spielt.
Der Streit geht nur darum, wie man die Geschichte erzählen soll: Vom Anfang oder vom Ende her? Beginnt man mit dem Ende, also mit der Vertreibung der Deutschen, könnte der Anfang im Dunst der Geschichte verschwinden, dass nämlich die Deutschen in Richtung Osten marschiert sind, bevor sich die Rote Armee auf den Weg nach Berlin machte. Erzählt man die Geschichte chronologisch, dann ist die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten nur das letzte Kapitel eines blutigen historischen Dramas, sozusagen die unvermeidliche Konsequenz der nationalsozialistischen Raserei. In dem einen Fall wären die Vertriebenen die unschuldigen Opfer der Geschichte, im anderen unfreiwillige Mittäter, die kollektiv abgestraft wurden.
Man kann die eine oder die andere Position vertreten, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, ein Relativierer oder Revanchist zu sein. Man könnte auch sagen: Wer einen Krieg anfängt und ihn verliert, der zahlt die Zeche, basta.
Aber darum geht es nicht. Die historische Komponente ist geklärt, die hysterische dagegen nimmt an Intensität zu – wie bei Michael Endes Scheinriese, der umso größer wird, je weiter man sich von ihm entfernt. Worum es geht, ist nicht die Last der Geschichte, sondern die Lust am Symbolischen.
Die Israelis zum Beispiel fahren sehr gern Mercedes und Volkswagen, ohne sich die Freude an der Klimaanlage und der Servolenkung von der Erinnerung an die Rolle der deutschen Autobauer im „Dritten Reich“ verderben zu lassen. Aber wenn Daniel Barenboim oder Zubin Mehta ein Stück von Richard Wagner in Tel Aviv spielen möchten, dann holen die letzten Überlebenden der Endlösung ihre KZ-Uniformen vom Dachboden und nehmen vor der deutschen Botschaft Aufstellung. Und das ganze Land diskutiert darüber, ob Hitler ohne Wagner möglich gewesen wäre.

Träume einer aussterbenden Generation
Auch die Polen haben den Deutschen längst vergeben und verziehen. Wie problemlos das deutsch-polnische Verhältnis ist, kann man am besten in Grenzorten wie Görlitz/Zgorzelec erleben. Von Revanchismus keine Spur, eingekauft wird dort, wo es gerade billiger ist. Aber ebenso wie die Israelis brauchen auch die Polen einen Spielplatz der Gefühle, auf dem sie Anstand und Widerstand üben können.
Frau Steinbach kommt da wie gerufen. Sie heißt Erika mit Vornamen, ist groß und blond und hat einen kräftigen Händedruck – der Prototyp der deutschen Domina im Comic-Strip der polnischen Erinnerungen. Wäre sie so nett und rundlich wie Mutter Beimer, hätten die Polen Frau Steinbach längst verziehen, dass sie 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt hat.
Freilich, auch auf der deutschen Seite gibt es eine unterschwellige Agenda. Niemand hindert den Bund der Vertriebenen daran, Orte des Gedenkens für die vertriebenen Deutschen zu errichten, ein Mahnmal, ein Museum – was immer sie möchten. Aber das ist dem Bund der Vertriebenen nicht genug. Sie schauen neidisch zum Holocaust-Mahnmal hinüber und denken: So was wollen wir auch! Zwölf Millionen deutsche Vertriebene gegen sechs Millionen ermordete Juden.
Und weil der Bau des Holocaust-Mahnmals vom Bundestag beschlossen und von der Bundesregierung mitgetragen wurde, wollen sich die Vertriebenen mit weniger nicht zufrieden geben. Deswegen kommt eine Verbandslösung nicht in Frage. Lieber warten die Vertriebenen ab, bis sie ausgestorben sind, als dass sie auf die staatliche Anerkennung als Opfer verzichten. Die Bundesregierung ihrerseits mag die Kontrolle über das Projekt nicht aufgeben, sie will die Vertriebenen einbinden, um peinliche Alleingänge zu verhindern.
Dabei sind die normalen Deutschen längst weiter. Sie kaufen Landhäuser in der Toskana, Fincas in Spanien und Weingüter in Südfrankreich. Der deutsche Grundbesitz im Ausland gleicht die territorialen Verluste infolge des Zweiten Weltkriegs aus. Ein eigener Platz an der Sonne ist den meisten Deutschen wichtiger, als in Pommern und Preußen ein paar deutsche Fähnchen aufzustellen.
Das wissen auch Frau Steinbach und die Vertriebenen. Sie wollen es nur nicht zugeben.

Veröffentlicht 10/01/2010 von krkonos in Deutsche und Polen, Politik

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Warum Guido Westerwelle Erika Steinbach stoppen muss   1 comment

Jörg Lau in „Zeit-Online“

In der deutschen Geschichtspolitik bahnt sich ein Durchbruch an. Und der unwahrscheinliche Initiator ist Guido Westerwelle, der neue Außenminister.
In seiner ersten Woche im Amt hat er nicht nur runde 20 000 Flugkilometer absolviert, ohne in einem einzigen Fettnäpfchen zu landen. Er hat auch gleich etwas richtig gemacht: Sein erster Besuch führte ihn nach Warschau  –  gemäß dem Wahlversprechen, er werde das Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn so vertrauensvoll gestalten wie das deutsch-französische längst schon ist. Die umstrittene Bundesstiftung zum Gedenken an die Vertreibungen sei ein Beitrag dazu, sagte der Minister in Warschau. »Wir werden alles unterlassen, was diesem Gedanken entgegensteht.»
Das heißt: Westerwelle ist dagegen, dass die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, Mitglied im Beirat der Bundesstiftung werden kann. Wie recht der neue Außenminister damit hat, zeigte sich an Steinbachs unverschämter Reaktion. Sie warf ihm vor, »Vertrauen zu anderen Ländern durch Opfergaben zu Lasten eigener Bürger oder Organisationen erkaufen« zu wollen. Im Klartext: Frau Steinbach sieht den Außenminister ihrer eigenen Koalition als eine Art Landesverräter, weil der ihr nicht zutraut, den Posten satzungsgemäß auszufüllen.
Guido Westerwelle hat offenbar erkannt, dass es höchste Zeit ist, die deutsche Erinnerungskultur endlich aus der Geiselhaft dieser Frau zu befreien. Es sieht so aus, als würde er standhaft bleiben: Es sei verständlich, dass Steinbach in Polen auf Ablehnung stoße, weil sie 1990 gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze gestimmt habe, konterte Westerwelle Steinbachs Attacke trocken.
In Wahrheit ist Frau Steinbach längst nicht nur den Polen, sondern auch vielen hierzulande schwer als Versöhnerin vermittelbar. Beim diesjährigen Pfingsttreffen ihres Vereins hat sie wieder einmal erklärt, die Vertriebenen seien für Hitler in »Kollektivhaftung« genommen worden. Sie wüssten darum »elementarer als andere«, dass Hitler »die Büchse der Pandora« geöffnet habe. »Elementarer« als die Polen, deren Land ausgelöscht werden sollte?
Dass Frau Steinbach ihre Klientel immer wieder in eine Konkurrenz um den Opfer­status rückt, ist auch vielen Vertriebenen und deren Nachkommen unerträglich. Denn es gibt zum Glück länger schon eine große Bereitschaft, sich mit den deutschen Opfern vorbehaltlos zu beschäftigen – auch in Polen, Tschechien und Ungarn. Die Europäisierung der Erinnerung an Flucht und Vertreibung hat begonnen, nicht zuletzt durch den persönlichen Einsatz vieler Vertriebener. Doch Erika Steinbach tut immer noch so, als müsse sie eine gefühlstaube Welt darüber belehren, dass auch Deutsche gelitten haben. Dass es ein innerer Widerspruch ist, selbstherrlich und schneidend aufzutreten, wenn man als Opfer anerkannt werden will, hat sie nie verstanden.
Anfang des Jahre sah es anders aus: Als die BdV-Präsidentin im März vorerst darauf zu verzichten schien, einen Sitz in der Stiftung anzustreben, ist ihr viel Respekt zuteil geworden. Endlich schien eine Deeskalation möglich: Man dachte, sie stelle die Verwirklichung des »sichtbaren Zeichens« zum Andenken an das Leid der Vertriebenen über ihr persönliches Interesse. Jetzt zeigt sich, dass dies nur Taktik war. Steinbach wusste, dass die Sozialdemokraten im Kabinett ihre Berufung verhindern würden. Sie hoffte, der kleinere Partner in der neuen schwarz-gelben Regierung werde sich fügen und ihr ins Amt helfen.
Da war es allerdings eine Torheit, dass sie beim Pfingststreffen Verständnis dafür zeigte, dass die Ostpolitik von den Vertriebenen als »Verrat« denunziert wurde. Neben Willy Brandt waren dafür nämlich auch Walter Scheel und sein Nachfolger Hans-Dietrich Genscher verantwortlich. Nun muss Frau Steinbach zur Kenntnis nehmen, dass der neue liberale Außenminister das Bekenntnis zur Entspannungspolitik ernst meint.
Wie ernst, wird sich an seiner Standfestigkeit in der Causa Steinbach zeigen. Von der Bundeskanzlerin kann er stille Unterstützung erwarten. Angela Merkel hat in ihrer Danziger Rede zum deutschen Überfall auf Polen klargestellt: »Kein Land hat so lange unter deutscher Besatzung gelitten wie Polen.« Sie stellte deutsches Leid in den Zusammenhang der »Verantwortung Deutschlands, die am Anfang von allem stand«. Solche Worte machen es den Polen leichter, des an Deutschen begangenen Unrechts zu gedenken.
In den kommenden Tagen wird der Bund der Vertriebenen entscheiden, ob man Steinbach nominiert. Der BdV steht am Scheideweg: Was ist wichtiger – die Profilierung Erika Steinbachs oder die wachsende Empathie unserer Nachbarn auch für deutsche Opfer?

p.s.: Eine persönliche Note. Dies hier ist das Haus meiner Familie väterlicherseits. Es steht in Gorna Grupa (Obergruppe) bei Grudziaz (Graudenz) an der Weichsel. Es war einmal ein Dorfgasthof. Heute sind darin ein Kulturzentrum und ein Kaufladen untergebracht. Niemand kann sich an meine Oma oder meinen Vater und seine Geschwister erinnern. Oder niemand möchte es zugeben. Es war gut, das zu sehen bei unserem Polen-Urlaub in diesem Jahr. Erstaunlich, wie ähnlich die Gegend derjenigen ist, in der mein Vater, der Vertriebene, heimisch wurde (im äußersten Westen Westdeutschlands). Einen kleinen Stich hat’s mir schon versetzt. Aber dann war es auch gut. Ich bin auf der glücklichen Seite des Kalten Krieges aufgewachsen. Ich liebe Westpreussen und werde sicher wiederkommen. Heimat ist woanders.

Veröffentlicht 11/11/2009 von krkonos in Deutsche und Polen, Politik

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Leserbriefe zum Nachdenken   2 comments

Zwei Leserbriefe aus der Berliner Morgenpost:

In einem bis dahin beispiellosen Angriffs-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg zerschlug die deutsche Wehrmacht den jungen polnischen Staat, vertrieben, unterjochten und „vernichteten“ Millionen polnischer Bürger, zerstörten die Hauptstadt Warschau durch Flächenbombardements fast vollständig. Das Trauma der jahrhundertelangen Bedrohung und Bedrückung durch die Deutschen sitzt tief in der polnischen Seele. Das zarte Pflänzchen der deutsch-polnischen Aussöhnung ist sehr verletzlich und muss behutsam gepflegt werden! Anzeige Frau Steinbach mag ihre Gründe haben, warum sie Helmut Kohls Vorlage zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als deutscher Ostgrenze nicht folgen, den EU-Beitritt Polens nicht befürworten mochte. Ich will das auch gar nicht bewerten oder kommentieren. Ich weiß nur, dass der hochsensible Aussöhnungsprozess mit unserem östlichen Nachbarn, von Willy Brandt begonnen, von Helmut Kohl festgeschrieben, Störungen dieser Art nicht vertragen kann! Und deshalb hat die Kanzlerin wieder einmal alles richtig gemacht! Behutsam! Auf so dünnem Eis…

Andreas Kuhnert, per E-Mail

Nach Herrn Bartoszewski, dem Beauftragten Polens für die Beziehungen zu Deutschland, haben die Vertriebenen in Frau Steinbach eine Person gewählt, die mit dem Holocaust-Leugner Williamson zu vergleichen sei. Die Beschimpfungen und Vorhaltungen treffen nicht nur Frau Steinbach als Person, sondern auch eine Repräsentantin des Deutschen Bundestags, den großen Kreis der Vertriebenen und setzen eine innerdeutsche Entscheidungsfindung über den Beirat der Stiftung unter Druck. Das von Frau Steinbach initiierte Zeichen der Erinnerung richtet sich gegen alle Vertreibungen, die, wie auch die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, völkerrechtswidrig sind. Die Stiftung ist auch ein Zeugnis für die Verbrechen Hitlers am eigenen Volk, wobei der Holocaust an erster Stelle zu nennen ist. Ohne Hitler hätte es den alles auslösenden Angriffskrieg und Stalins spätere Handhabe zu den großen Vertreibungen nicht gegeben. Die Erinnerungsstätte wird hoffentlich den ewig gestrigen Rechtsradikalen vor Augen führen, wohin der verbrecherische Nazi-Größenwahn führte und wie irrig das Hochhalten der alten Nazi-Parolen ist. Das Zeichen der Erinnerung schließt die vielen Toten der Vertreibungen in unseren Nachbarländern und Deutschland ein und wird Scham vor der Ungeheuerlichkeit des Krieges, des Mordens und der Vertreibungen wecken und hoffentlich die europäische Jugend bei einem Besuch wachrütteln, diese weltweit zu ächten.

Dr. Albert Hüchtker, 15566 Schöneiche

Und noch ein Beitrag, diesmal aus WELT ONLINE – und mit nem ganz anderem Ausklang.

Über Ihre Haltung bin ich sehr traurig

Von Heinz Ruhnau
Heinz Ruhnau begründet in einem Brief an den polnischen Regierungsbeauftragten Wladyslaw Bartoszewski, warum 800 Jahre deutsche Geschichte im Osten zählen
Vielleicht erinnern Sie sich noch an mich und an das Jahr 1989. Ich hatte Sie – damals als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG – zu einem Vortrag nach Frankfurt eingeladen. Sie signierten damals Ihr Buch „Herbst der Hoffnungen – Es lohnt sich, anständig zu sein“. Nun haben Sie eine Kampagne gegen Frau Erika Steinbach losgetreten. Von Ihnen hätte ich das am allerwenigsten erwartet. Falls Sie nun glauben, mit dieser Kampagne würde die öffentliche Diskussion und die historische Aufarbeitung über die deutsche Geschichte von Danzig, Stettin oder Breslau beendet sein, so werden Sie sich täuschen. Ihr Botschafter in Berlin, Marek Prawda, hat das auch in einem Interview geäußert. Die „Personalie Steinbach“ sei nicht das Problem, sondern die Gedenkstätte an sich. Diese Diskussion wird erst dann beendet, wenn auch Polen sich der unbequemen Wahrheit der Vergangenheit stellt.
Nach den Artikeln 7 und 8 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes (1998) gelten „Vertreibungen entweder als Kriegsverbrechen“ oder als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Für Vertreibungen gibt es keine Rechtfertigung. Wer sich zudem bei der Begründung eines solchen Unrechtsaktes auf Herrn Hitler beruft, stellt sich, vielleicht ungewollt, aber doch mit ihm auf eine Stufe. Etwa sieben Millionen Menschen wurden aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien vertrieben, zwei Millionen kamen ums Leben. Das Eigentum dieser Menschen wurde konfisziert – auch das der Widerstandskämpfer gegen Hitler, und es wurde das Märchen verbreitet, die neuen polnischen Bürger kämen in urpolnisches Land. Ein „Ministerium für die wiedergewonnenen Gebiete“ sollte dieser Legende den amtlichen Stempel verleihen. Nicht nur die 800-jährige deutsche Geschichte stand dieser Behauptung entgegen. Auch die deutschen Grabstätten, wie zum Beispiel die der Familie Schopenhauers, erinnerten an die deutsche Vergangenheit. Der heutige Bischof von Danzig hat im Jahr 2003 einen neuen Friedhof eingeweiht. Es ist der „Friedhof zur Erinnerung an die nicht mehr existierenden Friedhöfe“. Ein mutiger und barmherziger Mann.
Es gibt noch viele Stolpersteine auf dem Weg bis zur endgültigen Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen zu beseitigen. Einer davon ist der kommunistische Schauprozess gegen den damaligen Bischof von Danzig, Splett *. Alles, was ihm zur Last gelegt wurde, konnte durch keine einzige Zeugenaussage belegt werden, im Gegenteil, die im Prozess aufgebotenen Zeugen sagten nur zugunsten von Splett aus. Ich frage mich, warum bis zum heutigen Tage dieses Urteil nicht aufgehoben und dieser Bischof nicht rehabilitiert worden ist.
Über Ihre Haltung bin ich sehr traurig. Man kann doch nicht für Völkerrecht und Menschenrechte eintreten und die Deutschen, die in Pommern, Ostpreußen und Schlesien gelebt haben – und die einen großen Beitrag zur europäischen Kultur leisteten -, ausnehmen.

Der Autor, Staatssekretär a. D., war von 1982 bis 1991 Vorstandsvorsitzender der Lufthansa. Ruhnau ist Mitglied der SPD und gehört zu den Mitbegründern des Seeheimer Kreises.

* Carl Maria Splett wurde als Bischof von Danzig gezwungen, auf polnische Predigten und Gesänge zu verzichten, die Nationalsozialisten drangsalierten ihn. Die kommunistische polnische Regierung machte ihm 1946 einen Schauprozess. 1956 nach Deutschland abgeschoben, trat er bis zu seinem Tod 1964 für die Versöhnung beider Länder ein.

Veröffentlicht 15/03/2009 von krkonos in Deutsche und Polen, Politik

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Polnisches Trauma, Frau Steinbach   2 comments

Noch nie wurde Frau Erika Steinbach so oft in der deutschen Presse erwähnt, wie in letzter Zeit – und das pardoxerweise dank ihren größten Gegnern: Der polnischen Regierung und der polnischen Politikern. Erreicht haben die Polen zweilerlei – einerseits wurde ihre Mitgliedschaft im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen VORLÄUFIG verhindert, anderseits ist dank der polnischen Kampagne ihre Wiederwahl in den Bundestag so gut, wie sicher.

Zu diesem Thema auch ein Beitrag aus der „Frankfurter Rundschau“ von Stephan Hebel:

Neues Spiel gegen Polen

Gott, ist das nobel! Erika Steinbach geht den Opfergang. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen verzichtet auf einen Platz im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen. Und Ronald Pofalla, der CDU-Generalsekretär und Wahrer der politischen Moral, spricht es aus: „Mit ihrem Verzicht auf einen Sitz im Stiftungsrat zeigt sie menschliche Größe und politische Weitsicht. Sie stellt die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen über ihre eigenen Wünsche und Hoffnungen.“
Und diese Heilige soll dieselbe Person sein wie die „Bestie in blond“? Das soll die „Revisionistin“ sein, wie sie in Polen genannt wird? Die Unbelehrbare, die die deutsche Kriegsschuld ignoriert, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ablehnte und den östlichen Nachbarn am liebsten noch Entschädigung abzwingen würde?
Ach was, Freund und Feind der Vertriebenen-Chefin liegen daneben. Einerseits muss Pokerface Pofalla wahrscheinlich im Stillen selber grinsen über seine heiligsprechenden Worte. Sie sind in Wahrheit ein Teil des Deals – eine Überhöhung zum Ausgleich für die politisch erzwungene (und zwingende) Demütigung. Andererseits greift auch der Revisionismus-Vorwurf zum Teil daneben. Nicht, dass sich Wladyslaw Bartoszewski und viele seiner polnischen Landsleute zu Unrecht gegen Erika Steinbach gewehrt hätten. Sie haben es zu Recht getan. Aber sie greifen in ihren Begründungen – Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze, Entschädigungsforderungen – zu kurz. Sie übersehen die eigentliche Gefahr, die von Steinbach und ihren Gesinnungsfreunden ausgeht.
Es stimmt, dass Erika Steinbach nach der deutschen Vereinigung die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkennen wollte. Es stimmt, dass sie noch vor zehn Jahren offen nach Entschädigungen für die Vertriebenen rief. Aber es stimmt auch, dass sie inzwischen gelernt hat. Sie hat gelernt, ihr Geschäft so zu betreiben, dass man ihr klassischen Revisionismus nicht mehr vorwerfen kann. Ob sie die deutsche Erstverantwortung für Krieg und Vertreibung aus innerer Überzeugung anerkennt oder nicht – sie tut es jedenfalls. Das ist gut. Schlimm ist: Die Melodie mit den antipolnischen Untertönen spielt sie weiter, nur mit anderen Instrumenten. Sie bedient die antipolnischen Reflexe ihres rechtskonservativen Publikums, ohne sich beim Leugnen deutscher Verantwortung erwischen zu lassen.
Wie macht sie das? Wie macht es der rechte Flügel der Union, der zwar durch den Rückzug vor den Kopf gestoßen, aber von Pofalla und Co. so schön getröstet wird? Sie machen es mit einem simplen Trick. Seht her, so die Botschaft, wir leugnen nichts, wir erkennen historische Schuld und Verantwortung heldenhaft an. Dafür verlangen wir von euch, liebe Polen, eine kleine Gegenleistung: Haltet bitte den Mund. Lasst uns in Ruhe. Lobt und preist uns, was auch immer wir in der Gegenwart tun. Sonst, liebe Polen, müssen wir der Welt leider mitteilen, dass ihr die Bösen seid. Dass euer Deutschland-Beauftragter Bartoszewski mit seiner „vipernschnellen Zunge“ (FAZ) ein bisschen viel „dazwischenfunkt“ (noch mal FAZ) und mit seinen „Entgleisungen absichtlich deutsche Politiker beleidigt“ (Hessens CDU-Fraktionschef Christean Wagner). Wir Deutschen beanspruchen nach all den schönen Schuldbekenntnissen jetzt wenigstens die moralische Feldüberlegenheit.
Wer sich derart einem versöhnungsbereiten, aber bis heute traumatisierten Volk präsentiert, hat nichts verstanden. Die Lippenbekenntnisse zur historischen Wahrheit sind nichts wert, wenn sie sich mit der sehr gegenwärtigen Weigerung verbinden, sich in die Motive und Probleme der polnischen Seite hineinzuversetzen. Hat ein Herr Pofalla zufällig mal gehört, wie sich der ehemalige Nazi-Verfolgte Bartoszewski im eigenen Land gegen heftigste Widerstände für die Versöhnung mit Deutschland und die Anerkennung polnischer Schuld an der Vertreibung einsetzte? Was hat Pofalla, zum Beispiel gegen die Widerstände von Vertriebenen, Entsprechendes in Deutschland vorzuweisen? Hat er Bartoszewski für dessen „menschliche Größe und politische Weitsicht“ gelobt? Nein, er trampelt, indem er Steinbach heiligspricht, auf den Gefühlen der Nachbarn herum.
So sieht er aus, der neue Revisionismus, der das Leugnen oder Relativieren deutscher Verbrechen gar nicht mehr braucht. Er ist ungewohnt, und gegen ihn sich zu verteidigen ist besonders schwer. Und deshalb hat niemand in Polen nach Steinbachs Rückzug Grund zur Erleichterung.

Veröffentlicht 04/03/2009 von krkonos in Deutsche und Polen, Politik

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